Es ist inzwischen selten genug, dass ich eine Print-Tageszeitung in die Hand nehme: Die Artikel vom Weltgeschehen habe ich meistens mindestens 24 Stunden vorher schon online gelesen, der Boulevard_Journalismus interessiert mich nur begrenzt und unter´m Strich sind die meisten Tageszeitungen einfach zu schlecht – oder im Falle der Süddeutschen Zeitung so dick, dass man schon Rentner sein muss um überhaupt die Zeit zu finden um diese zu lesen.



Durch Zufall fiel mir die Abendzeitung vom Samstag, 12.05.2018 in die Hände und auf Seite 13 der Artikel „Europa zu Gast in München“ mit der Sub-Unterschrift „Toleranz, Vielfalt, Freiheit: Beim Europatag am Marienplatz fallen Mauern – für ein gemeinsames und vereintes Europa gegen alle Vorbehalte“. 



Das klingt doch erst einmal gut: Als stark tätowierter Mensch erwarte ich von meinen Mitmenschen ein gewisses Maß an Toleranz, ich finde bunte Vielfalt toll und Freiheit ist ja ohnehin neben der Gesundheit eines der wertvollsten Güter – und was ich an dieser Stelle auch loswerden möchte: Ich mag den Europäischen Gedanken. Anstelle von vielen kleinen beschränkten Gebieten ein großes Gebiet, in dessen Raum jeder Mensch dort arbeiten und vor allem leben kann wo er möchte – das klingt doch gut.



Viele Deutsche bzw. Menschen aus den wohlhabenden EU-Ländern haben ja immer Angst, wegen der EU ihren Lebensstandard zu verlieren bzw. etwas kürzer treten zu müssen – ich finde diesen Gedanken gar nicht so tragisch: wenn man betrachtet, wie schlecht es vielen Menschen in Osteuropa geht, während in Deutschland in jeder Straße einer Großstadt Autos im Millionenwert stehen – von so Kleinigkeiten wie „ständig neuestes Smartphone“ reden wir an dieser Stelle noch gar nicht – dann finde ich es nur überfällig, dass wir unseren Wohlstand ein paar Prozent runterschrauben, damit anderswo die Menschen ein würdiges Dasein haben.

Steinigt mich dafür, aber das ist halt meine Denkweise – nicht umsonst habe ich seit über einem Dutzend Jahren (inzwischen mehrere) Patenschaften für Kinder in der 3. Welt und wir engagieren uns regelmäßig auch finanziell mit dem Tempel – wem es gut geht, der gibt etwas ab damit es allen besser geht. Soweit, so gut. Wäre toll wenn noch mehr die es sich leisten können mitmachen würden (denn nicht jeder kann sich das leisten – auch klar!), aber das ist ein anderes Thema…



Allerdings reagiere ich allergisch darauf, wenn einem Sachen – egal ob ich sie gut finde oder nicht – mit hanebüchenen Argumenten als toll verkauft werden sollen. Ich erwarte von Journalisten bzw. Medien eine klare Darstellung der Faktenlage – und dann kann sich jeder seine eigene Meinung erstellen – das Wort „bilden“ vermeide ich an dieser Stelle absichtlich, klingt ja ansonsten so wie der Slogan von dem Klopapier mit den vier Buchstaben.

Relativ nah am Niveau eben jener Zeitung bewegt sich in diesem Artikel aber die Abendzeitung: So darf z.B. Bürgermeister Josef Schmid frohlocken – natürlich in Fettdruck: „Viele Münchner wissen gar nicht, was die EU alles für unsere Stadt bereitstellt.

Alleine im Jahr 2017 hat München über 20 Millionen Euro an EU-Fördergeldern aus Brüssel bekommen“. 

Man muss den Artikel schon bis zum Ende lesen um zu erfahren, woher diese Kohle eigentlich kommt. Auf den Fettdruck wird natürlich verzichtet, wenn es fast ganz unten lautet: „Freilich, Deutschland ist mit 13 Milliarden Euro pro Jahr größter Nettozahler“ – und damit das ganze aber noch verniedlicht wird: „Gleichzeitig zahlt die EU an Deutschland fast die Hälfte an Fördergeldern zurück“.

Da steht nichts falsches drinnen, könnte aber dem flüchtigen Leser suggerieren: „Deutschland zahlt 13 Milliarden und erhält fast die Hälfte zurück“. Nettozahler bedeutet aber, dass wir 13 Milliarden mehr zahlen als wir bekommen – in Zahlen: Deutschland zahlt 23 Milliarden Euro nach Brüssel – und erhält 10 Milliarden zurück.

Wo wir auch schon bei der Kohle wären, über die Josef Schmid so schön sagt „Viele Münchner wissen gar nicht, was die EU alles für uns bereitstellt“. Ja, macht sie: von der 23 Milliarden die wir zahlen, stellt die EU 10 für uns bereit. Wow. Ich bin beeindruckt.



Noch einmal: Wir sind Deutschland, wir sind ein reiches, wohlhabendes Land: es ist für mich ok, dass wir ärmere Länder unterstützen – ich halte das für den richtigen Weg für eine gerechtere Verteilung und gegen Armutsmigration. Aber versucht nicht, uns für dumm zu verkaufen.



Fast noch dreister wird es, wenn es um den Beamtenapparat in Brüssel geht: Am AZ-Stand beschwerte sich ein Mitfünfziger über den seiner Meinung nach aufgeblähten Beamtenapparat. Die Abendzeitung steuert natürlich entgegen: „EU-Kommission, – Ministerrat und – Parlament zählen zusammen etwa 32.500 Bedienstete. Für die Stadt München und ihre Verwaltung arbeiten 38 400.“



…und da steht wieder nichts wirklich falsches drinnen – aber es ist halt einfach ein Äpfel mit Birnen-Vergleich: Der große Teil der städtischen Beschäftigten arbeitet nämlich in Sozial- und Erziehungsberufen – das dürfte in Brüssel bei EU-Kommission, Ministerrat und Parlament eher nicht der Fall sein. Auch gehe ich davon aus, dass es dort eher weniger Müllmänner gibt… die Liste ließe sich beliebig fortsetzen…. und wie kommt man jetzt auf die Idee, so etwas miteinander zu vergleichen?



Entweder man ist dämlich – oder man möchte seine Leser für dämlich verkaufen. Beides ist meiner Meinung nach einer guten Zeitung unwürdig.

Stephan Tempel

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