Corona-Lockerungen für geimpfte wird ja seit einigen Wochen diskutiert. Schauen wir doch einmal, was der Gesundheitsminister Jens Spahn dazu sagt:
Die Aufhebung von Einschränkungen für Geimpfte lehnte Spahn ab, bis es ein Impfangebot für alle Bürger gibt. Es gehe dabei um Solidarität. »Wir haben ein Jahr lang solidarisch diese Pandemie durchgestanden. Jetzt können wir uns die Monate, bis jeder geimpft werden kann, auch noch alle an die Regeln halten.«
So ist es am heutigen Sonntag (24.01.2021) um 09:30 Uhr im Spiegel-Ticker zu Corona nachzulesen.
Ich frage mich da immer, in welcher Welt solche Politiker eigentlich leben bzw. wie weit sie von der Basis entfernt sind.
„Wir haben solidarisch diese Pandemie durchgestanden“ klingt ja nahezu nach „Wir sitzen alle im gleichen Boot“. Dies ist aber nur der Fall, wenn es um den Verzicht von Konzerten, Ausflügen und den Besuch von in der Pandemie geschlossenen Einrichtungen geht.
Ansonsten läuft dieses „gemeinsam durchgestanden“ höchst unterschiedlich ab:
Während die einen wie selbstverständlich ins Büro fahren dürfen und ihr volles Gehalt beziehen, verzweifeln Eltern am Homeschooling bzw. der Betreuung ihrer Kinder.
Die Fachverkäuferin in der Metzgerei schwitzt unter der FFP2-Maske, ist aber wenigstens in Lohn und Brot.
Die Verkäuferin in einer Boutique, die Kellnerin, die Frisörin und die Tätowiererin hingegen hat wahlweise die Betriebsbedingte Kündigung erhalten oder sitzt mit dem Kurzarbeitergeld daheim in ihrem Appartement in der Stadt.
Im tristen Winter. Nahe am Existenzminimum und ohne die Möglichkeit, sich jenseits von Netflix abzulenken. Oder gar Sport zu treiben. Auszugehen und dabei einen möglichen Partner kennenzulernen, wenn man gerade Single ist.
Von den unzähligen Selbständigen die seit Monaten kaum oder gar keine Einkünfte haben, ganz zu schweigen. Diese Zeilen schreibt einer von denen, der inzwischen fünf Monate (!) gar keine Einkünfte hat.
Jetzt erzählt mir ein Politiker, wir sollten gefälligst alle in diesem Zustand verharren, bis alle durchgeimpft sind. Das redet sich natürlich leicht, wenn man kinderlos ist, selbstverständlich volle Diäten erhält und sich erst im Juli 2020 eine Villa für mehrere Millionen gekauft hat.
Sicherlich, aktuell sind gerade einmal rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland geimpft. Die meisten davon in einem Alter, welches für die Mehrzahl der geschlossenen Betriebe nicht relevant ist.
Aber die geimpften Menschen werden immer jünger. Meine Mutter ist über 70, somit in Gruppe zwei und bald an der Reihe. Gerne geht sie in die Sauna in FFB und ist unter der Woche dort meistens tagsüber alleine mit ein paar weiteren Rentnern. Seit bald einem Jahr hat sie sich weitestgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmt daheim selbst isoliert. Wie Millionen andere Rentner auch.
Was spricht dagegen, diesen Menschen wieder einen Sauna-, Kino- oder Cafe-Besuch zu ermöglichen?
Wollen wir uns an dieser Stelle über die psychischen Auswirkungen von diesem Lockdown unterhalten? Über die Auswirkungen auf die Psyche, wenn Du – auch als jüngerer Mensch – über Monate weitestgehend ohne soziale Kontakte daheim sitzt?
Auch Arbeit ist ein sozialer Kontakt, Herr Spahn.
Von Woche zu Woche wird die Anzahl derer, die geimpft wurden steigen. Gleichzeitig wird die Lage für die, die daheim sind immer dramatischer. Sowohl finanziell, als auch psychisch.
Es gibt keinen Grund, diese Menschen auch nur einen Tag länger als notwendig in dieser Situation zu belassen.
Von den positiven Effekten für die Wirtschaft und somit auch den Staatshaushalt ganz zu schweigen.
Wer „soziale Gerechtigkeit“ fordert oder mit der möglichen Übertragung durch Geimpfte argumentiert, hätte ja auch schon längst (Großraum-)büros, Produktionen und Handwerk in den Lockdown schicken müssen. Oder als Politiker wenigstens 30% von seiner rund Viertelmillion (!) Jahreseinkommen freiwillig abgeben oder spenden können.
Dann wäre er zwar von der Bedeutung von „Kurzarbeitergeld“ für den einfachen Bürger immer noch meilenweit weg, aber wenigstens etwas glaubwürdiger.