Warum ich tätowiert bin – wie es mein ganzes Leben geprägt hat – was früher anders war…

Warum bin ich eigentlich tätowiert? Wann entschied ich mich dazu, dass aus einem Tattoo mehr werden sollen und wann kam der Entschluss, dass es nur noch ein Tattoo sein soll – dafür ein großes? Zeit für einen Rückblick.

Eigentlich fühle ich mich bei weitem noch nicht so alt, wie es mir die Zahlen in meinem Ausweis unbarmherzig bewusst machen. Satte 41 Jahre – Stand März 2019.  Auf der anderen Seite klingt vieles von dem was mir im Vorfeld zu diesem Artikel im Kopf rumgeht nach „Opa erzählt“. Dabei liegt es ja gerade einmal „nur“ rund 20 Jahre zurück.

Tätowierungen schon faszinierend als Kind

Ok, 25 Jahre…. Na gut, vielleicht auch noch ein paar Jahre mehr.  Tätowierungen fand ich schon als Kind faszinierend, vor allem weil sie damals nur von den „etwas wilderen Typen“ getragen wurden.

Der Metaller– und Motorradfahrer-Freundeskreis vom großen Bruder war tätowiert, oder aber „die wuidn Typen“ im Sechzgerstadion, die zum Teil auch eher wie (Oldschool-)Rocker aussahen und sich das Bekenntnis zum TSV 1860 lebenslänglich in die Haut stechen ließen.

Tattoo für einen Fußballverein? Damals nah an der Grenze zu „geisteskrank“

Ein Tatto für einen Fußballverein ist ja heute noch ungefähr so spannend wie die Frage, welche Überraschung im Überraschungs-Ei vor einem drinnen steckt. Das war in den 90ern  noch etwas anderes.

Tätowiert waren sowieso nur die etwas anderen Typen. Zu dieser Zeit war man außerdem als Stadiongänger für viele Menschen von Haus aus schon ein Asozialer. Selbst der FC Bayern hatte damals gerade mal einen Zuschauerschnitt von etwas über 30 000. Soviel Besucher bzw. noch mehr kommen dort inzwischen zum ersten Saisontraining. Beim TSV 1860 war es damals ungefähr ein Drittel davon (war ja auch zwei Ligen tiefer). Darunter doch einige „Wuide“ mehr.

Eine Kombination aus beidem – Tattoo & Fußballverein – war also zu diesem Zeitpunkt ziemlich geisteskrank. Logisch, was mein erstes Tattoo werden würde, oder? So weit war es aber noch lange nicht.

Vor dem Tattoo die Wahl des Tattoo Studios. In den 90ern nicht so einfach

Das erste mal den Prozess des Tätowierens und der Wahl des richtigen Tattoostudio habe ich mit ca. 12 Jahren mitbekommen. Mein großer Bruder Ralf wollte sich sein erstes Tattoo tätowieren lassen – eine von einem Freund für ihn gezeichnete Vorlage. Der „Barfield Biker„, eine Mischung aus Garfield und einem Rocker – individuell gezeichnet für meinen Bruder.

Wie findet man heute ein Tattoostudio? Wenn man gar keine Ahnung hat, gibt man in der Suchmaschine seinen Vertrauens die Begriffe „Tattoostudio München“ ein und findet – neben etlichen Werbeanzeigen, in denen sich frisch eröffnete Studios als „bestes Tattoostudio München“ präsentieren –  jede Menge Tattoostudios aufgelistet, die es so in München gibt.

Darunter inzwischen natürlich auch den Tempel, aber so weit war es zu diesem Zeitpunkt noch ganz lange nicht.

Entweder man schickt jetzt seine Vorlage an diese Studios mit einer Preis-/Terminanfrage und nimmt dann das günstigste/billigste/schnellste (je nach persönlichem IQ) oder man klappert die sympathischten Studios ab und vereinbart dann dort wo man das beste Gefühl hat einen Termin für das Tattoo.

Natürlich kann es sein, dass der favorisierte Tätowierer keine Lust auf das Tattoo oder eine zu lange Wartezeit hat. Aber innerhalb von vier Wochen finde ich in nahezu jeder deutschen Großstadt ohne Probleme einen soliden Tätowierer, der mir fast jedes gewünschte Tattoo sticht. Vermutlich sogar schon deutlich früher.

Zurück wieder rund um 1990

Damals gab es in München gerade mal eine Hand voll Tattoostudios – deren Namen kennt jeder, der sich damals für Tattoos interessiert hat heute noch  – und – unvorstellbar – kein Internet. Man hat also entweder auf seine Freunde gehört, das war aber damals auch nur bedingt schlau. Denn eines war zu dieser Zeit schon so und hat sich bis heute nicht geändert:

Grundsätzlich ist für jeden „sein“ Tätowierer sowieso „der Beste“

Alternativ kommt man sich im „Gelbe Seiten – Buch“ (das war so eine Art Google zum umblättern, ähnlich wie ein Lexikon) die paar Tätowierer die darin verzeichnet waren heraussuchen und dann persönlich abklappern.  Alleine das war schon ein Erlebnis.

Beim Tätowierer war früher nicht alles besser. Ganz sicher nicht

Nein, früher war nicht alles besser, aber so manchmal wünsche ich mir so manche etwas schwierigere Kundschaft von heute in ein OldschoolTattoostudio von damals.

Man darf ja eines nicht vergessen. Selbst Rockmusiker wie z.B. Slayer waren damals größtenteil noch untätowiert – und dann betrittst Du ein Tattoostudio, wo ein komplett vollgehackter Typ hinterm (oftmals verrauchten) Tresen sitzt und Dich wenn Du reintrittst erst einmal mit ´m Arsch nicht anschaut. Irgendwann gewährt er Dir dann eine kurze Audienz und erklärt Dir seine Regeln.

Comicfiguren stech ich sowieso nicht

oder

Schriftzüge tätowiere ich von Haus aus nicht

oder

Hier gibt es nur die Vorlagen von der Wand und die nur in genau dieser Größe (weil der Copyshop zum vergrößern zu weit weg ist und der schon acht Mal verwendete Stencil ohnehin noch in der Schublade liegt)

An solche Szenen muss ich immer dann denken, wenn ich mal wieder einer Kundin ihren ca. 12 mm großen Stern für den Fußrücken Millimeter um Millimeter zur Seite schiebe, oder die dritte Spitze noch 4 Grad mehr nach rechts drehe. Das hat sich tatsächlich schon so zugetragen.

Von den vielen unterschiedlichen Pink-Tönen in denen man diesen Stern dann tätowieren kann, damit es ihr Traum-Tattoo wird noch gar nicht zu reden… und weil es so perfekt geworden ist, machen wir dann das gleiche Spielchen 4 Wochen später wieder, mit einem zweiten Stern daneben.

Überflüssig zu erwähnen, dass ich ihr seinerzeit geraten habe, mehr auf einmal zu machen weil es auch nicht teurer wäre. Das wurde aber abgelehnt, weil sie nur ein Sternchen wollte.

Zurück in die frühen 90er

Nachdem man sich also in München beim Tattoo-Sohne, Laubach und Tommy eine Abfuhr geholt hat, landet man beim Volker vom Scorpions-Tattoo in. Da ihm sowieso relativ egal ist, was die Kundschaft tätowiert bekommt (Zitat: „Du mußt ja mit dem Scheiß rumlaufen“) bekommt Bruder dann einen Tattoo-Termin in rund drei Monaten, Dienstag Nachmittag um 14 Uhr.

Nach einem kurzen Blick auf die Axt unter´m Tresen verkneift man sich die Frage, ob es nicht einen früheren Termin oder was am Freitag Nachmittag gäbe. Von einem Samstag ganz zu schweigen. Man ist seelig über seinen Termin und freut sich drei Monate später, wenn das Tattoo dann wie vereinbart in einer Stunde tätowiert wird – und das „Kunstwerk“ dann nur 250,- Deutsche Mark kostet. Weiß jemand noch, wieviel Geld damals 250,- Mark waren?

Sprung in ein Tattoo-Studio im Jahr 2019

Der moderne Kunde 2019 übersieht zwar oftmals großzügig, dass sein Tätowierer am eigentlich freien Sonntag-Nachmittag in vier Stunden die Vorlage für ein dreistündiges-Tattoo zeichnen musste, ebenso wie er 45 Minuten mit dem Stencil kämpfte bis alles gepasst hat.

Dafür sieht er aber ganz genau dass der Tätowierer nicht drei Stunden, sondern nur 2 Stunden 40 Minuten tätowiert hat – weil der Tätowierer hat ja einmal eine kurze Pause gemacht… und „die Zeit vom ausbluten zählt ja nicht wirklich zur Arbeitszeit dazu, oder“? Ne, natürlich nicht. Man sitzt zu seinem Privatvergnügen gerade im Studio und entsorgt jede Menge mit potentiell tödlichen Erregern kontanimiertem Abfall fachgerecht

Tattoopflege ab 1990

Anfang der 90er gibt es für die 250,- Mark wenigstens noch etwas Zewa über das Tattoo geklebt – Mitte der 90er wird das dann langsam von der Frischhaltefolie abgelöst, was ungefähr so revolutionär ist wie Jahre später das erste Handy. Dazu gibt es gratis den Rat, sich in der Apotheke Bepanthen zu holen.

Begleitpersonen beim Tätowieren: damals nicht erwünscht, vielleicht kann man ja kurz einen Blick über´n Tresen beim Tätowieren werfen.  Der Tätowierer ist zu dieser Zeit ja meistens Tätowierer, Tresen- und Telefonkraft in einer Person. Das funktioniert ganz locker, denn mehr als ein halbes Dutzend Leute schaut den ganzen Tag über ohnehin meistens nicht rein. Zudem klingelt das Telefon auch höchst selten. Es ist halt noch nicht jeder tätowiert…(dazu später mehr).

Ich bin damals noch keine 14 Jahre und darf mich natürlich noch lange nicht tätowieren lassen.  Zwar kommen die ersten Experimente mit Teppichmesser, Zirkelnadel und Schultinte, aber bis auf ein paar Narben in den Fingern ist davon glücklicherweise nichts mehr übrig geblieben.

Die Zeit vergeht, der Nachbarsbub ist ein Jahr älter als ich und als er sein erstes Tattoo holt bin ich 17 Jahre alt – zu diesem Zeitpunkt hole ich mir schon regelmäßig das einzige erhältliche Tattoo-Magazin mit dem einfallsreichen Namen „Tattoo“ in der internationalen Presse am Hauptbahnhof. Das Magazin ist natürlich eingeschweißt was ein kostenloses durchblättern verhindert und auf Englisch.

Ich falle fast vom Glauben ab, als es eines morgens am Olchinger Bahnhof (und an jedem anderen Kiosk auch) ein deutschsprachiges Tattoomagazin mit dem einfallsreichen Namen „Tätowiermagazin“ gibt – die erste Ausgabe hüte ich heute noch wie einen Schatz (bzw. im Keller). Mit den meisten Tattoos da drinnen würde man es heute übrigens bestenfalls als „Gurke des Monats“ ins Heft schaffen.

(Update 2020 – das Tätowiermagazin hat leider nicht überlebt. Corona hatte dem bereits angeschlagenen Huber-Verlag endgültig das Genick gebrochen)

Endlich 18 Jahre – das erste Tattoo

Dann endlich – der 18 Geburtstag – und ich hab das Alter für meine erste Tätowierung.  Da ich ja weiß dass die meisten Tattoostudios weder Schriftzüge, Namen, Fußballvereine etc stechen und man den Volker zu diesem Zeitpunkt „schon kennt“, wird der Termin natürlich bei ihm ausgemacht.

Auch wenn ich die Platzierung etc. heute anders machen würde – Beratung im Sinne von „verbau Dir damit nicht den ganzen Rücken“ gab es damals nicht – so bin ich doch Stolz auf zwei Sachen:

1. darauf, dass ich mir damals aus verschiedenen Motiven das meinige gebastelt habe, weil ich ein Unikat wollte. Dass meine Vorlage dann vom Volker leider noch öfters verwendet wurde, steht wiederum auf einem anderen Papier…

2. Dass ich mir damals so viele Jahre den Kopf über das Motiv zerbrochen habe, aber letztlich immer klar war, dass es ein 1860-Löwe bzw. ein 1860-Tattoo wird – weil es für mich klar war, dass diese Liebe niemals enden wird.

Stand heute, 23 Jahre später (Stand 2018) schaut es so aus als würde ich Recht behalten. Es war aber auch damals erforderlich sich so lange und gute Gedanken zu machen.  An Tattooentfernung war ja seinerzeit noch nicht zu denken – Tattoos waren schlicht und ergreifend für immer.

Nervös wie die Sau vor dem ersten Tattoo Termin

In der Nacht vor dem Tattootermin war an Schlaf nicht mehr zu denken… wie würde es sein? Würde es schmerzhaft werden? Würde ich es aushalten?

Ich glaub ich war eine gute Stunde vor dem Termin schon am Studio und ratschte mit dem schon damals unfassbar coolen Piercer Arafat. Dieser arbeitete damals noch beim Scorpions Tattoo. Als es dann endlich losging, habe ich vor lauter Adrenalin fast gar nichts gemerkt. Der Bub, der mit 18 maximal so alt aussah wie andere mit 14, bekam sein erstes Tattoo.

 

tsv 1860 tattoo, auf Stephan Tempel

Tätowiert waren damals überwiegend Knastbrüder, Rocker, Hooligans… und ich. Was sich wohl die zuerst genannten damals gedacht haben, als sie den kleinen Jungen mit der TSV 1860-Tätowierung im Freibad oder an der Isar gesehen haben?

Gedanken wie diese sollte man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, wenn man sich heutzutage über Leute lustig macht, „die sich vor 10 Jahren niemals hätten tätowieren lassen“…

… es war der Sommer 1995…

– Fortsetzung folgt –

Stephan Tempel

1 Kommentar

  1. Ja Bruder so war des damals gut das du noch weißt wann des war mich lässt da mein Zeit Gefühl a bissl im Stich aber aufregend war es auf jeden Fall

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